OK-Mitgliederversammlung 2005
Wollen wir die Landeskirche den Evangelikalen überlassen?
Renate Lück
Das treibt die OFFENE KIRCHE schon um: Die Machtkämpfe in kirchlichen Gremien, evangelikale Großveranstaltungen aus den USA, wie Pro Christ und Jesus House, bei denen nicht diskutiert, sondern nur berieselt wird, und die einseitige oder polemische Berichterstattung in einigen Zeitungen - all dies verdichtet sich zu einem Bild von Kirche, vor dem es OK-Mitglieder graust. Bei der diesjährigen Mitgliederversammlung wurden deshalb Visionen entwickelt, wie unsere Landeskirche sein sollte.
Die Vorsitzende, Kathinka Kaden, präsentierte Auszüge aus einem Vortrag des Weltanschauungsbeauftragten der rheinland-pfälzischen Kirche, Dr. Richard Ziegert und eine These von Bischof Dr. Michael Keller aus Münster. Der sah schon 1948 voraus: "Wir sind auf dem Weg zu einer Einheitszivilisation und Einheitskultur. Morgen werden sich die Menschen in Berlin, Peking und anderen Regionen der Welt kaum noch unterscheiden. Und kein Land, keine Stadt, kein Dorf kann sich der unwiderstehlichen Gewalt dieser Umformung entziehen." Seit die USA zur neuen Weltmacht geworden sind, ist deren nackte Marktzivilisation auch in religiöse Bereiche eingedrungen. Inzwischen ist ein Religionsmarkt entstanden, in dem sich alles in Geld messen lässt. Die Mega-Kirche Willow Creek zum Beispiel beschäftigt nur eine Hand voll Theologen, dafür aber Psychologen und andere MitarbeiterInnen, die ein genau genormtes Lebenskonzept verkünden. Die amerikanischen Neu-Evangelikalen strotzen vor Selbstbewusstsein und werden immer agressiver in ihrer Mission, sagte Kathinka Kaden, und nannte als Beispiel die Schüler- und Studentenmission Deutschland (SMD), die mit verheerenden sozialen Folgen für Bekehrte und Unbekehrte ihr Unwesen treibe. "Brot und Peitsche" klappt noch immer. Als "Love-Bombing" werden Geschenke an Schulkinder verteilt, aber Erwachsenen, die den Zehnten verweigern, werden Krankheiten und Missernten angedroht.
Die unter dem Dach der 1957 gegründete "Allianz" Versammelten glauben buchstäblich, dass Gott die Welt in sieben Tagen erschaffen habe, und verdammen die Evolutionstheorie. In den USA führt der Fundamentalismus schon dazu, dass die Gesellschaft christenfeindlich wird. Der alte, in Europa gewachsene Pietismus sollte sich dem Evangelikalismus aus Amerika anschließen. In IDEA, dem Pressedienst der "Allianz", ist der wachsende christliche Fundamentalismus, der sich anderen Religionen als überlegen präsentiert, zu studieren. Demgegenüber beharrt die OFFENE KIRCHE darauf, dass die Bibel Toleranz lehre, denn niemand sei im Besitz des Glaubens. Die OK will weiterhin Treffpunkt für Kritische und Widerständige sein.
Der Leitungskreis hatte einen Entwurf mit Schwerpunktthemen erarbeitet, die von den rund 80 anwesenden Mitgliedern in sieben Arbeitsgruppen im Hinblick auf das nächste Wahlprogramm diskutiert und vertieft wurden. Dabei stellten nicht wenige fest, dass unsere früheren Programme sehr gut waren. Es war nur nicht knapp genug formuliert, was für uns unverzichtbar ist. Wichtig ist allen nach wie vor ein Glaubensverständnis, das Zweifel zulässt, aber Mündigkeit und Beteiligung fördert, das sich hinterfragen lässt und sich den geistigen Bewegungen der Zeit stellt, das den Dialog nicht nur zwischen verschiedenen Glaubensrichtungen und Religionen als Beitrag zum Frieden sucht, sondern auch zwischen Kirche und Wissenschaft und für das Beratungsstellen und Pfarrstellen für Kranke, Gefangene und in (Seelen-)Not Geratene zum elementaren gesellschaftsdiakonischen Auftrag der Kirche gehören. Die Formulierungen der Stichpunkte gehen nun noch einmal durch alle Gremien und werden im nächsten Jahr als Bausteine fürs Wahlprogramm 2007 von der Mitgliederversammlung verabschiedet.
Am Nachmittag berichtete Kathinka Kaden vom vergangenen Jahr mit Neuerungen, wie Neujahrsbrief und Newsletter (wenn es neue Artikel im Internet gibt), Diskussionen im Leitungskreis mit den ChefredakteurInnen des Evang. Gemeindeblatts für Württemberg und epd sowie einem Gespräch mit dem neuen Landesbischof Frank Otfried July. Geschäftsführer Reiner Stoll-Wähling erläuterte den vorliegenden Jahresabschluss für 2004 und versprach, die Finanzierung der Bezirke auf der nächsten Bezirksverantwortlichen-Versammlung noch einmal zu erklären. Damit die Mitglieder nicht mehr das Problem haben, ihren Beitrag rechtzeitig zu zahlen, bietet und bittet der Kassierer, die Einzugsermächtigung zu nutzen. Die beiden Kassenprüfer, Fritz Röhm und Albrecht Fröhner, waren mit der Kassenführung zufrieden und empfahlen die Entlastung des Kassierers.
Der Geschäftsführer des AMOS-Preises, Fritz Röhm, erzählte begeistert, dass schon 23.000 Euro für die Stiftung zugesagt wurden. Wenn 50.000 Euro zusammenkommen, kann sie gegründet werden. Zustiftungen sind jederzeit möglich und erwünscht, damit der Preis für Zivilcourage alle zwei Jahre durch die Zinsen gesichert ist. Rainer Weitzel erklärte, dass die Stiftung für all diejenigen, die gut verdienen, neben der ethischen Komponente auch steuerlich interessant sei über sonstige Spenden hinaus.
An Verabschiedungen gab es nur eine zu vermelden: Gerlinde Maier-Lamparter hat nach 14 Jahren engagierter Mitarbeit die Redaktion verlassen. Kathinka Kaden rühmte noch einmal ihre Belesenheit und ihre weit reichenden Kenntnisse über Personen, mit denen sie die Redaktion bei Sitzungen in ihrem Wohnzimmer unterstützte. Als Geschenk bekam die Leseratte ein Buch von Eric-Emmanuel Schmitt, dem Autor des Films "Monsieur Ibrahim oder die Blumen des Korans", über das sie sich sehr freute.